Der SDG-Fachtag beschäftigte sich mit Fragen danach, was soziale Nachhaltigkeit bedeutet und wie diese in Köln gestärkt werden kann. Dafür haben wir als Bündnis Kommunale Nachhaltigkeit Köln (BKN) am 29. Oktober 2024 zwischen 14 und 20 Uhr zu einem Tag mit thematischen Schwerpunktworkshops und einer abschließenden Podiumsdiskussion in die Räume der Alten Feuerwache eingeladen.
Nach einem lockeren Ankommen mit Getränken und veganen Snacks eröffneten Moderatorin Anne Gebler-Walkenbach und das Koordinationsteam des Bündnis Kommunale Nachhaltigkeit (BKN) die Veranstaltung mit einer kurzen Begrüßung und inhaltlichen Einführung in das Thema „soziale Nachhaltigkeit“. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, dann denken viele Menschen vor allem an die aktuelle Klimakrise, an das Artensterben und Fragen der Umwelt. Doch zu dem Thema gehören genauso verschiedene soziale Dimensionen, die sich momentan ebenso in einer Krise befinden. Dies zeigen sowohl die Wahlergebnisse und die sich verschärfende Ungleichheit in der Einkommens- und Wohlstandsverteilung als auch der zunehmende Sozialabbau, der sich zuspitzende menschenfeindliche Diskurs rund um die Themen Flucht und Migration sowie die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitssystems. Als Bündnis haben wir es uns zum Ziel gemacht, diese verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden, ihre Bedeutungen für die Demokratie herauszuarbeiten und nach Wegen zu suchen, soziale Nachhaltigkeit in Köln zu stärken. Soziale Nachhaltigkeit hat dabei das Ziel, faire und gerechte Lebensbedingungen für alle Menschen zu ermöglichen, dass alle Menschen in Würde leben können und keinem Menschen vorenthalten wird, die eigenen grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen.
Als einen Schritt in diese Richtung stellten wir unsere neue Broschüre „Impulse für die nachhaltige Transformation Kölns“ vor. Sie ist aus unserem Bündnis entstanden und setzt an der Kölner Stadtstrategie „Perspektiven 2030+“ an. Dabei gehen die Autor*innen auf die unterschiedlichen Sustainable Development Goals (SDGs) ein und leisten sowohl eine kritische Bestandsaufnahme als auch Handlungsvorschläge für eine nachhaltige Transformation in Köln.
Das Nachmittagsprogramm des SDG-Fachtages bestand aus drei parallelen Workshops mit unterschiedlichen Schwerpunkten der sozialen Nachhaltigkeit.
Workshop I: Politische und gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit dem Thema Flucht – Rückblick und aktuelle Entwicklungen in NRW und Köln / vom Kölner Flüchtlingsrat e.V.
Der Workshop des Kölner Flüchtlingsrats mit der Referentin Aische Westermann beschäftigte sich inhaltlich mit gesellschaftlichen (Einstellungs-)Änderungen, einer Zuspitzung rechter Diskurse über Flucht und Migration sowie deren Auswirkungen in der konkreten Arbeit mit Geflüchteten.
Dafür präsentierte Aische Westermann zunächst, wie die Zustimmung der deutschen Bevölkerung zum Thema Zuwanderung in den letzten Jahren durch die mediale Präsenz rechter Diskurse abgenommen hat. So nimmt ein Großteil der Befragten humanitäre Hilfe zwar als wichtig wahr, gleichzeitig steigt die Ablehnung von unkontrollierter Zuwanderung jedoch an. Die konkreten Auswirkungen dieses Diskurses wurden dabei am Beispiel der Diskussion rund um die Bezahlkarte für Geflüchtete deutlich gemacht. Dabei arbeiteten die Teilnehmenden die Bedeutung der politisch-ideologischen Komponente der Bezahlkarte heraus: Da wissenschaftliche Studien belegen, dass es keine sogenannten Pull-Faktoren bei einer Flucht gibt, konnte die Gruppe zeigen, dass politische Entscheidungen oftmals nicht auf Basis von Fakten, sondern auf Basis des Diskurses getroffen werden.
Im Anschluss wurde sich in einer Paneldiskussion mit zwei Sozialarbeitenden aus der kulturellen Jugendarbeit sowie aus der Schulsozialarbeit der Frage gewidmet, welche Herausforderungen sich momentan in der sozialen Arbeit stellen: Wie schlagen sich die aktuellen Diskurse in der Realität der Geflüchteten nieder? Wo sind Probleme? Was bedeutet soziale Nachhaltigkeit in diesen Feldern? Zuletzt beschäftigte sich der Workshop außerdem mit den aktuellen Haushaltskürzungen und deren Konsequenzen in NRW und Köln.
Viele der Teilnehmenden kamen selber aus der Sozialen Arbeit im Bereich Flucht und Migration und machten im Nachhinein den Wunsch nach mehr Diskussionen und Austausch in diesem Bereich stark.
Workshop II: Toxische Männlichkeit in Sozialen Medien: Von Tate Bros und Trad Wives bis zur AfD / von jfc Medienzentrum e.V.
Schwerpunkt des Workshops war der Einfluss von Vorstellungen toxischer Männlichkeit auf junge Männer in den Sozialen Medien sowie die Verbindungen zu (rechts)extremen Akteur*innen und Weltbildern. Leitende Frage war: Wie sehen Umgangsweisen mit Jugendlichen und jungen Männern aus, die auf diese Art und Weise beeinflusst werden und wurden?
Zu Beginn des Workshops stellte der Referent Oliver Achilles vom jfc Medienzentrum zunächst verschiedene Aspekte und Gefahren rechts(-extremer) Einflussnahme auf Jugendliche und junge Erwachsene in den Sozialen Medien vor. Eine prominente Rolle spielen dabei neben dem starken Auftreten der AfD auch Influencer*innen wie beispielsweise Andrew Tate, der das Bild verbreitet, ‚echte‘ Männer seien gefühlslos, souverän und mutig, aber vor allem auch dominant und kontrollierend. Dies geht meist mit frauenfeindlichen Vorstellungen einher. Gleichzeitig gewinnen die sogenannten „TradWives“ („traditionelle Ehefrauen“) an Zulauf, die sich bewusst für ein traditionelles Leben als Mutter und Hausfrau entscheiden und sich den Männern aus Überzeugung unterordnen.
Die jungen Teilnehmenden des Workshops ergänzten die Ausführungen durch eigene Erfahrungen in ihrem Umfeld. So sei vor allem die Zeit der Corona-Pandemie eine Phase gewesen, in der Jugendliche ohne Anbindungen an ein reales soziales Netz viel Zeit in den Sozialen Medien verbracht hätten. Rechte Influencer*innen nutzen dabei bereits Austauschräume in Online-Games, um Beziehungen zu den Jugendlichen aufzubauen. Die Einflussnahme rechter, rechtsextremer, patriarchaler und misogyner Weltvorstellungen durch Social Media macht sich dabei beispielsweise auch in den Wahlergebnissen junger Wähler*innen bemerkbar.
Mittelpunkt des Workshops war anschließend die Simulation eines toxisch männlichen Jugendlichen durch die künstliche Intelligenz „Chat GPT“, an der die Gruppe exemplarisch versuchte, die Denkmuster des Jugendlichen zu verstehen und verschiedene Kommunikationsstrategien zu erproben. Viele Teilnehmende fanden es interessant zu sehen, dass KI durchaus als ein Tool dienen kann, um anderen Weltvorstellungen verstehen und begegnen zu lernen.
Der Workshop war dabei insgesamt von einer angeregten Diskussion zu verschiedenen Fragen geprägt: Wie kommuniziere ich am besten mit Menschen, die ein anderes Weltbild haben? Wie können wir den Einfluss eben jener Influencer*innen beschränken? Wie kommen wir aus der eigenen Bubble raus? Als eine Lösung wurde vorgeschlagen, dass es Sozialarbeit in den Sozialen Medien und in den Räumen des Online Gamings geben sollte, um den Influencer*innen sowie der zunehmenden Isolierung der Jugendlichen etwas entgegen zu setzen und Beziehungen zu diesen aufzubauen.
Workshop III: Bürgerschaftliches Engagement: Transformation durch Partizipation / von Kölner Freiwilligenagentur e.V.
Diese Diskussionsrunde beschäftigte sich mit der Frage, was es heißt, die Transformation hin zu einem nachhaltigen Köln sozial und demokratiefördernd zu gestalten. Als Gesprächseröffnung stellte der Referent Dieter Schöffmann daher einige Thesen vor. Diese Thesen beschäftigten sich dabei mit verschiedenen Aspekten der Bürger*innen-Beteiligung. Demnach bedeutet eine soziale Transformation zunächst, die politischen Auseinandersetzungen nicht „der Politik“ zu überlassen, sondern diese Auseinandersetzungen in der zivilgesellschaftlichen Sphäre zu führen. Dabei ist es wichtig, Menschen in ökonomisch oder sozial schwierigen Lebenslagen einzubeziehen bzw. Wege zu eröffnen, wie Menschen selbstständig zur Transformation beitragen können. Um dies zu ermöglichen, braucht es eine Vielzahl verschiedener Beteiligungsformate, die den Bürger*innen räumlich und inhaltlich nah sind, wie beispielsweise Bürger*innen-Räte oder Nachbarschaftsforen, die mit beteiligten Sektoren und Akteur*innen produktiv zusammenarbeiten. Vorschlag von Dieter Schöffmann war es abschließend, „vom SDG-Fachtag der aufgeklärten Nachhaltigkeitsakteur*innen zum Kölner Zukunftstag für Nachhaltigkeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aus allen Branchen“ zu wechseln, um damit ein vielfältigeres Spektrum der Kölner*innen einzubeziehen.
In der Diskussion wurden Punkte gesammelt, die bei der Organisation von effektiven Partizipationsprozessen leitend sein können. Dabei spielte die Frage nach dem Verhältnis der Kleinschrittigkeit zu den angestrebten großen Zielen sowie welche Akteur*innen in den Diskussionen um eine Transformation fehlen, eine große Rolle. Auch diese Gruppe diskutierte darüber, wie es möglich ist, Menschen außerhalb des eigenen Milieus zu erreichen. Ideen dafür waren, dass das BKN die Kontaktaufnahme zu Akteur*innen wie dem ‚Ratsausschuss Bürgerbeteiligung und Beschwerden‘ sowie der Sozialraumkoordinatoren anstreben sollte, um die eigenen Perspektiven zu erweitern. Die Teilnehmenden wünschten sich im Nachhinein weiter Möglichkeiten für Kooperationen sowie regelmäßige Treffen, um an den Fragen dran zu bleiben.
Podiumsgespräch: Soziale Nachhaltigkeit als Pfeiler unserer Demokratie?
Nach einer Pause mit veganer Verköstigung fand nach den Workshops die Podiumsdiskussion mit Cecil Arndt (Kultur- und Literaturwissenschaftlerin, Schwerpunkt Antirassismus und Intersektionalität), Caro Frank (Geschäftsführung der Alten Feuerwache Köln), Dr. Paul Hecker (Geschäftsführer der IG Metall Köln-Leverkusen), Peter Krücker (ehem. Vorstandssprecher des Caritasverbands für die Stadt Köln) und Anne Gebler-Walkenbach als Moderation statt.
Zunächst fragte Anne Gebler-Walkenbach die Podiumsgäste- danach, was soziale Nachhaltigkeit aus ihrer jeweiligen Perspektive bedeutet. Dabei herrschte größtenteils eine Einigkeit darin, dass es um die Teilhabe am Leben in Form von Chancengleichheit, aber auch Fragen der Verteilung geht und soziale Nachhaltigkeit somit einen Marker der Demokratie darstellt. Während es aus gewerkschaftlicher Perspektive vor allem um das Thema Gerechtigkeit in der Verteilung im Betrieb und in der Wirtschaft geht, machte Cecil Arndt darauf aufmerksam, dass es notwendig ist zu hinterfragen, wie die Grundlagen des Zusammenlebens überhaupt gedacht werden. Es geht demnach vielmehr darum, die Ursachen für globale Ungleichheiten zu hinterfragen und soziale Nachhaltigkeit eben nicht im aktuellen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu begreifen. Somit ist soziale Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage der Teilhabe am Leben, sondern auch eine Frage des Überlebens an sich. So kritisierte sie beispielsweise, dass geringverdienende Perspektiven auf dem Panel fehlen.
Um den sozialen Krisen zu begegnen, stellten alle Panelist*innen fest, dass es darum geht die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Einkommen (auch global) zu reduzieren. Konkret wurde dabei das Fehlen von Austauschräumen benannt. Dabei sollten sich verschiedene zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Bürger*innen darüber austauschen, wie es jetzt gemeinsam weitergehen soll. Besonders wichtig sei dabei der Austausch zwischen verschiedenen Stadtteilen.
In Bezug auf die Frage, ob die soziale Nachhaltigkeit eine Antwort auf das Erstarken der Rechten sein kann, herrschte Uneinigkeit auf dem Podium. So merkte Dr. Paul Hecker positiv an, dass die soziale Nachhaltigkeit ein Ziel ist, welches für viele Gruppen anknüpfungsfähig ist und das Potential hat, verschiedene politisch-ideologische Lager zusammenzubringen. Gleichzeitig macht der Begriff gerade deswegen für Cecil Arndt auch dessen inhaltliche Leere deutlich. So sei soziale Nachhaltigkeit erstmal anschlussfähig, gleichzeitig sei damit nicht geklärt, wie wir miteinander leben wollen. Selbstverständlichkeiten der Gesellschaften werden somit nicht hinterfragt. Viel eher bräuchte es eine Verständigung darüber, was für die Beteiligten das gute Leben bedeutet.
Als letzten Punkt ging es um die Haushaltskürzungen der Stadt Köln. Dabei kritisierte Peter Krücker ein erhebliches Missmanagement der Stadt bei Großkulturbauten wie der Oper, bei städtischen Krankenhäusern, aber auch bei den Einnahmen (Reichensteuer etc.), was zu einer kritischen Lage der Kommune geführt hat. Auch Caro Frank machte die drastischen Folgen für die soziale Infrastruktur der Stadt deutlich: Eine jahrzehntelang aufgebaute Struktur von Ehrenamtsarbeit geht unwiderruflich verloren, die Gelder für Bürger*innenzentren werden um 10 Prozent gekürzt und ein gewisser Mindeststandard somit aufgekündigt. Die Redner*innen betonten, dass es für den Umgang mit den Problemen vor allem wichtig ist, sich als soziale und kulturelle Einrichtungen zusammen zu tun und sich im Streit um die Gelder nicht spalten zu lassen. Gleichzeitig wurde sich auch die Frage gestellt, was passiert, wenn die Politik für all die Anliegen der Akteur*innen aus dem sozialen und Kulturbereich nicht mehr erreichbar ist. So wurde abschließend die Wichtigkeit betont, massiv auf die Straße zu gehen und die eigenen Anliegen gegebenenfalls mit Maßnahmen des zivilen Ungehorsams wie z.B. Streik umzusetzen.
Insgesamt machte der diesjährige SDG-Fachtag deutlich, dass sich die soziale Nachhaltigkeit weltweit, aber auch in Köln in einer enormen Krise befindet. Um diesen multiplen Krisen zu begegnen, wurde in allen Formaten des Tages der Bedarf und die Notwenigkeit nach Austauschräumen und Kooperationen betont. Diese Zusammenschlüsse sind wichtig, um sich gegenseitig unterstützen zu können, sich im Streit um die Gelder nicht spalten zu lassen und gemeinsame Strategien zu entwickeln, um den massiven Kürzungen sowie dem Rechtsruck zu begegnen. Dabei zeigte sich, dass die Maßnahmen, um die eigenen Ziele zu erreichen, vehementer für die eigenen Bedarfe einstehen müssen, um aus einer bittenden in eine fordernde bzw. umsetzende Rolle zu gelangen. Für den nächsten SDG-Fachtag nehmen wir dabei den Wunsch der Teilnehmenden mit, vielfältigere Perspektiven als Sprecher*innen und Gäste einzuladen, um das Spektrum derer, die gemeinsam an der sozialen Nachhaltigkeit in Köln arbeiten zu erweitern.
Alle Fotos von Gülten Hamidanoglu | www.businessfotos-koeln.de.
Der SDG-Fachtag wird jährlich vom Bündnis Kommunale Nachhaltigkeit zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen in Köln durchgeführt. Dieses Jahr wurde er gefördert von der Stadt Köln.